Managementlehre, Berater und Coaches unterscheiden zwischen effektiv und effizient. Doch das reicht in der Praxis nicht. Ein Vorgehen muss auch durchhaltbar sein. Stetigkeit ist die dritte, oft vernachlässigte Dimension – und ‚suboptimalen‘ Vorgehen führen oft zu besseren Ergebnissen.

Inhalt

Effektivität vs. Effizienz
Peter Drucker hat mit „The Effective Executive“[1] der Effektivität ein ganzes Buch gewidmet. Effektivität fragt: Was führt zum besten Ergebnis? Effizienz dagegen: Wie erreichen wir dieses Ergebnis mit minimalem Aufwand?
Kombiniert ergeben effektiv und effizient das Beratermantra: „Das Richtige richtig tun.“ Doch genau das ist schwierig. Bis heute setzen Management- und Controllinginstrumente vor allem auf Effizienz. Höher, weiter, schneller. Ob eine Maßnahme überhaupt sinnvoll ist, bleibt oft unbeachtet. Zu Recht kritisierte Peter Drucker:
„There is surely nothing quite so useless
as doing with great efficiency
what should not be done at all.”[1]
Genau das ist das Problem: Effizienz kann Ineffektivität nicht kompensieren. Man muss den Kurs ändern – nicht die Geschwindigkeit.
Der Ex-CTO von IBM und Autor Gunter Dueck gibt unzählige Anekdoten über Ineffektivität in F&E-Projekten.[2] Ein Beispiel: Unternehmen optimieren jahrelang kleinteilig ihre Produkte – und verlernen, was es für Innovationen oder gar Disruptionen braucht.
Stetigkeit: Halten wir durch?
Selbst wenn wir das Richtige richtig tun – also Effektivität und Effizienz maximiert sind –, bleibt eine Frage: Halten wir es langfristig durch?
Ein bekanntes Problem im Sport: Man kann das perfekte Training, die optimale Ernährung und die ideale Erholung auf dem Papier festlegen. Doch wie lange bleibt man dabei? Sind diese Pläne mit den Unwägbarkeiten des Alltags vereinbar? Kann man dauerhaft so mechanisch handeln? Für das 0,001 Promille der Weltspitze – mit der passenden Genetik, ja. Für mich? Eher nicht.
Das theoretische Optimum ist selten das praktische Optimum. Praktisch kann suboptimales Vorgehen zu besseren Ergebnissen führen – schlicht, weil man es durchhält. Meine Faustregel: 85 % einer guten Ernährung sind besser als 100 %. 4 von 5 guten Mahlzeiten halte ich dauerhaft durch, ohne extremen Willenseinsatz. 5 von 5? Schaffe ich nicht. Sonst schlägt ‚Decision Fatigue‘[3] zu: Mein Wille ist aufgebraucht – und Heißhunger setzt sich durch.
Stetigkeit – auch Kontinuität oder „Consistency“ verschiebt das Optimum weg von maximaler Effektivität und Effizienz.
Allerdings mit klarer Rangfolge: Effektivität ⋟ Stetigkeit ⋟ Effizienz.
Das zeigt sinnbildlich folgende Abbildung:

Stetigkeit in der Praxis
Dieses Kapitel zeigt, wie Stetigkeit in verschiedenen Bereichen wirkt – und warum sie oft wichtiger ist, als wir denken.
Staatsapparat und Behörden
Ministerien und Bürokratien sind das Sinnbild von Stetigkeit. Regeln und Vorschriften sollen reproduzierbare und faire Entscheidungen ermöglichen – ein Wert an sich. Sie schützen vor Willkür, weil sie Entscheidungen von subjektiven Einflüssen („Nasenfaktor“) entkoppeln. Doch diese Steuerungslogik ist ausgeufert. Es fehlt ein Korrektiv. Robert Habeck brachte es auf den Punkt – frei zitiert:
„Wir sind mittlerweile versessener darauf,
die Vorschriften des Umweltschutzes einzuhalten,
als die Umwelt zu schützen“[4]
Das ist das Kernproblem von Verwaltungen. Regeln werden befolgt, auch wenn sie am Ziel vorbeiführen. Ein typisches Muster in der EU und im deutschen Staat: Ineffektiv und ineffizient, aber stetig. Mehr dazu: hier.
Umgang mit unvermeidbarem Waste
Unternehmen und Haushalte müssen den unvermeidbaren Waste der Staatsbürokratie abarbeiten. Effektivität ist nicht gegeben – dennoch müssen wir zumindest Effizienz gegen Stetigkeit abwägen.
Ein Beispiel: Geschäftsvorfälle müssen laut den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung „zeitnah“ erfasst werden. Doch was heißt „zeitnah“ für mich als Selbstständiger? Täglich, monatlich, quartalsweise oder gar jährlich?
Für mich liegt das Optimum bei quartalsweiser Buchhaltung: Die Vorgänge sind noch präsent, sodass ich mich nicht mühsam neu einarbeiten muss. Gleichzeitig ist der Aufwand kaum höher als bei einer monatlichen Buchführung. Der Staat verlangt monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen – ein bürokratischer Overhead ohne Steuer(ungs)vorteil.
Engineering
Sozio-technische Systeme müssen viele Qualitätsmerkmale erfüllen. Die ISO/IEC 25010 bietet eine gute Übersicht über potenzielle Merkmale. Stetigkeit ist dabei nicht als eigenes Merkmal aufgeführt, sondern in Aspekten wie Wartbarkeit, Robustheit und Lebensdauer enthalten.
Quality Attribute | Description |
---|---|
Safety | Freedom from unreasonable high risk due to normal or abnormal usage of the system. |
Functional Suitability | The system provides all intended functions in time and completely when requested by the user. |
Efficiency / Lifetime | The system provides the functionality with appropriate resource utilization (e.g., µC, RAM) over a specified lifetime. |
Availability / Robustness | The system provides the functionality within defined boundary conditions and tolerances. |
Usability | The system is self-explaining and attractive, allowing it to be learned, understood, and used with ease. |
Security | Protection of the system from accidental or intended misuse, modification, damage, or exploitation. |
Compatibility | Systems in the same environment can exchange information and coordinate behavior/reactions. |
Maintainability | The system can be changed, improved, modified, or adapted to fit changes in the environment or requirements. |
Producibility & Transferability | The system can be produced, shipped, deployed, installed, maintained, replaced, and updated (in the field). |
Projektmanagement
Relevanter wird Stetigkeit im Programm- und Projektmanagement. Sozio-technische Projekte sind immer „wicked“[6] oder „ill-structured problems“[7]. Aufgrund zahlreicher Partikularinteressen lässt sich weder eine optimale Problembeschreibung noch eine optimale Lösung ermitteln.
Das Erfüllungskriterium lautet wie bei der Stetigkeit nicht „Optimum“, sondern „zufriedenstellend“ (engl. „satisficing“[8] – eine Lösung, die in der Praxis gut funktioniert. Solche Lösungen entstehen durch Verhandlungen, Kompromisse und iterative Anpassungen.
Priorisieren anhand der 80-20-Regel
Aus dem Geschäftsleben ist die „80-20-Regel“ oder „Pareto-Regel“ bekannt,[9] wie
- 20 % der Maßnahmen führen zu 80 % der Ergebnisse
- 20 % der Komponenten erzeugen 80 % der Fehler
- 20 % der Kunden erzeugen 80 % des Umsatzes
- 20 % der Mitarbeiter erledigen 80 % der Arbeit
Mit der Pareto-Regel priorisieren wir Maßnahmen, um möglichst effektiv zu handeln.
Es gilt aber das zuvor Gesagte: Es gibt verpflichtenden Waste oder Qualitätsmerkmale, die wir nicht einfach Wegpriorisieren können.
Qualitäts- und Prozessstandards
Paradoxerweise ignorieren Qualitäts- und Prozessstandards wie ISO 9001 oder Automotive SPICE die Bedeutung von Stetigkeit – obwohl sie auf reproduzierbare Aktivitäten abzielen. Sie basieren auf der Annahme, dass man immer effektiv und effizient handeln kann.
Doch in der Praxis müssen Prozesse nicht nur optimal sein, sondern auch durchhaltbar. Genau hier entsteht ein Problem in Audits:
- Best Case: Der Auditor erkennt eine logische Abweichung vom theoretischen Optimum und schlägt eine Anpassung vor.
- Worst Case: Er wertet die Abweichung als „Major“ (Hauptabweichung) und fordert eine Korrektur.
Der Konflikt: Erst der Makel macht uns dauerhaft arbeitsfähig. Das wollen viele Auditoren aber nicht wahrhaben. Ihre Standards erkennen es nicht an. Und, in deren Theorie und Ausbildung ist Stetigkeit inexistent.
Modellrisiko: Jedes Modell trägt inhärente Risiken, weil es die Welt zwangsläufig vereinfacht und Fehlsteuerung induziert. Mark Twain bringt es auf den Punkt:“It ain’t what you don’t know that gets you into trouble. It’s what you know for sure that just ain’t so.[10] Doch die impliziten Modelle der Qualitäts- und Prozessstandards ignorieren Modellrisiken fahrlässig.
Teamarbeit und Weisungsbefugnis
Apropos: Berater und Coaches preisen Selbst- und Netzwerkorganisation als ideale Form der Zusammenarbeit. Doch oft ist das nur eine kurzfristige Sicht – die kaum den Beratungsauftrag überlebt.
Häufig entpuppen sich diese Konzepte als gut gemeinte Eingriffe, die die Belegschaft schnell überfordern. Der Clou der Hierarchie: Eine stetig funktionierende Weisungskette.
In „vollständigen Netzwerkorganisationen“ entfällt diese Stetigkeit. Plötzlich muss jede Entscheidung ausgehandelt werden – teilweise bis ins kleinste Detail. Dann leidet gewissermaßen das Team an Decision Fatigue: Die Belegschaft wird von endlosen Abstimmungsprozessen zermürbt.
Und am Ende? Holt man die Hierarchie zurück.
Investieren & Vermögensaufbau
Beim Investieren ist Stetigkeit einer der größten Hebel für den Erfolg. Eine alte Wall-Street-Weisheit bringt es auf den Punkt:
“Time in the Market beats Timing the Market.”
Wer kontinuierlich in ein Weltportfolio investiert, hat die besten Chancen auf langfristigen Erfolg. Das habe ich hier ausführlich analysiert.
Dienstleistungen
Auch im Dienstleistungssektor ist Stetigkeit von unschätzbarem Wert. Der Kunde – oder sein Besitz – ist immer Teil der Wertschöpfung. Dienstleister, die trotz dieser Variabilität eine gleichbleibend hohe Qualität liefern, genießen Vertrauen.
Stetigkeit schafft Vorhersagbarkeit – und damit psychologische Sicherheit. Menschen, die mal exzellente, mal miserable Arbeit abliefern, sind zumindest in der Projektarbeit unbeliebt.
Kochrezept für Unternehmungen
Etwas abstrakter betrachtet, ist Stetigkeit die Zutat eines funktionierenden Geschäftsmodells. Der „Prozess der Geschäftsgenese“ ist im Kern simpel:
- Effektiv: Löse ein einzigartiges Kundenproblem.
- Stetig: Lerne, wie du dieses Problem reproduzierbar für viele ähnliche Kunden löst.
- Effizient: Optimiere deinen Mitteleinsatz.
Die Reihenfolge ist entscheidend. Eine stetig effiziente, aber ineffektive Lösung ist wertlos. Wer von Anfang an auf Effizienz setzt, aber kein relevantes Problem löst, wird dauerhaft keinen einzigen Kunden überzeugen.
Privatleben
Stetigkeit ist der Schlüssel zu Gesundheit, Fitness, Beziehungen und Familienleben – das erklärt sich fast von selbst. Man kann es nicht einmal optimieren und dann einfach laufen lassen. Es erfordert kontinuierliche Aufmerksamkeit und Pflege.
Diese Beispiele zeigen: Stetigkeit ist der vernachlässigte Erfolgsfaktor. Ein einseitiger Fokus auf Effektivität und Effizienz führt fast zwangsläufig zur Fehlsteuerung.
Endnoten
- ↑ Drucker, P. F. (2006). Classic Drucker: Essential wisdom of Peter Drucker from the pages of Harvard Business Review. Harvard Business Press. S. 83.
- ↑ Dueck, G. (2020). Heute schon einen Prozess optimiert?: Das Management frisst seine Mitarbeiter. Campus Verlag. Frankfurt am Main.
- ↑ Wikipedia contributors (2025). Decision fatigue. In Wikipedia, The Free Encyclopedia. Im Internet (12.03.2025): https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Decision_fatigue&oldid=1279921117
- ↑ Habeck, R. (2025). Robert Habeck: Was Deutschland wirklich braucht. In: Tim Gabel Podcast vom 26.01.2025. Im Internet (12.03.2025): https://open.spotify.com/episode/3EWHGxgRIQzDdAF5IJJc1b?si=adAU4m67RneNpFXvefJkww
- ↑ ISO/IEC. (2011). ISO/IEC 25010:2011 - Systems and software engineering - Systems and software Quality Requirements and Evaluation (SQuaRE) - System and software quality models.
- ↑ Rittel, H. W. J., & Webber, M. M. (1973). Dilemmas in a General Theory of Planning. Policy Sciences, 4(2), 155–169. https://doi.org/10.1007/bf01405730
- ↑ Simon, H. A. (1973). The Structure of Ill Structured Problems. Artificial Intelligence, 4(3-4), 181–201. https://doi.org/10.1016/0004-3702(73)90011-8
- ↑ Simon, H. A. (1956). Rational Choice and the Structure of the Environment. Psychological Review, 63(2), 129–138. https://doi.org/10.1037/h0042769
- ↑ Wikipedia contributors. (2025). Pareto principle. In Wikipedia, The Free Encyclopedia. Im Internet (17.03.2025): https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Pareto_principle&oldid=1276222740
- ↑ Leveson, N. G. (2011). Engineering a Safer World. Systems Thinking Applied to Safety (p. 534). Cambridge, London: MIT Press.
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